Große Weine bringen immer auch eine Geschichte mit sich. Und das ist beim Malagousia von Gerovassiliou zweifellos gegeben. Dabei sind die Anfänge dieser Geschichte äußerst nebulös. (Zum Einstieg sei dieser Post von Yiannis Karakasis empfohlen, wer ins „rabitt hole“ eintreten möchte, folge der durch den am Ende verlinkten Beitrag von Keith Edwards gelegten Fährte…) Was man sicher weiß, ist, dass die Malagousia-Rebe in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Westgriechenland entlang des Golfs von Korinth, um die Städte Nafpaktos und Mesolongi herum, kultiviert wurde. Allerdings führten Landschaftsgestaltung und Bauprojekte nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Aufgabe dieser Flächen. Das damals von der legendären Stavroula Kourakou-Dragona „Wine and Vine Institute“ in Athen erhielt dann wohl über einen dort arbeitenden Agrarwissenschaftler – Charalambos Kotinis – Stecklinge. Von hier gelangten vermutlich 1969 Wurzelstöcke zum Weingut Porto Carras, wo ein gewisser Professor der Universität von Thessaloniki – der mittlerweile verstorbene Vassilis Logothetis – einen experimentellen Weinberg angebaut hatte. Dieser schwer zu rekonstruierende Umweg wird wohl in der Literatur – etwa bei Jancis Robinson – wohl übersehen, wenn hier davon ausgegangen wird, dass Logothetis die Rebe (in Zentralgriechenland) entdeckt hätte.
Unumstritten ist, dass Evangelos Gerovassiliou als Önologe in Porto Carras dann das Potential der Rebe entdeckte und zu ihrem heutigen Ruhm verholfen hat. Das erste Mal brachte er Malagousia nicht nur als Verschnittpartner dann im Jahr 1994 heraus (gleich dieser erste Jahrgang zeigte sich 2016 noch außergewöhnlich gut). Zu diesem Zeitpunkt hatte Gerovassiliou parallel schon zehn Jahre Erfahrungen mit dem Anbau auf dem elterlichen Weingut – dem heutigen Ktima Gerovassiliou – gesammelt.
Seit dem ist ein kometenhafter Aufstieg zu verzeichnen. Vor zehn Jahren ging man noch von unter 200 ha Anbaufläche aus, heute sollen es über 500 sein. Dabei ist die Gefahr gegeben, dass die Malagousia in die Rolle eines Pinot Grigio geraten könnte, als süffiger Sommerwein ohne viel Anspruch. Das wäre aber sehr schade, denn die Malagousia hat sehr viel anzubieten. Sie wird meist zu den Bukettsorten gezählt. Sie mit dem Muskateller zu vergleichen, tut ihr aber Unrecht. Am ehesten noch liegt ein Vergleich zum Müller-Thurgau nahe. Wie dieser zeigt sich die Malagousia nämlich in Abhängigkeit von An- und Ausbau äußerst wandlungsfähig. Muskatnoten treten vor allem oberhalb eines Alkohols von 13,2% auf und verdrängen dann die typischeren floralen und an Zitrusfrüchte erinnernden Noten. Gerade in der fruchtig-blumigen Stilistik hat die Malagousia sehr großes Potential. Es ist der optimale Wein für all diejenigen, die durchaus Aromasorten mögen, sich aber nicht so richtig trauen, das zuzugeben. Denn richtig gemacht hat ein solcher Malagousia mehr Niveau und Komplexität, als ein Müller-Thurgau das kann. Und sehr viel richtig, das macht ganz offensichtlich Evangelos Gerovassiliou. Und damit kommen wir zum aktuellen Jahrgang 2020…
Beim Verkosten wirklich großer Weine gibt es eigentlich immer einen gewissen Aha-Moment, der schlagartig klar macht, dass man etwas Besonders im Glas hat. Hier war das so schon beim Entkorken. Plötzlich: Hochgezogene Augenbrauen, staunende Blicke. Ein Schwall Pfirsicharoma ergießt sich in den Raum und füllt diesen schlagartig aus. Das Ktima Gerovassiliou nimmt den Erntezeitpunkt für die Malagousia sehr ernst, um eine Oxidierung der Terpene zu vermeiden, welche auf besagte Weise fruchtige Aromen verdrängen können. Trotz einiger Verzögerungen bei den griechischen Rebsorten in der Ernte 2020, wurde hier offensichtlich der Punkt perfekt getroffen. So eine klare Pfirsich-Frucht haben wir in den vergangenen Jahrgängen noch nicht gehabt. Dazu gesellt sich ein wenig grüner Apfel. Man könnte Riesling-Fans damit foppen. Die floralen Noten sind nur ganz dezent, am ehesten Gardenie. Dazu gesellt sich noch ein Hauch Minze. Am Gaumen zeigt sich der Wein dann mit angenehmer Grapefruit und einem schönen Säurebogen. Noch eine ganz leichte Spur Kohlensäure. Der Alkohol von 13,5% (der hier nicht mit einer Überreife einhergeht, die von Muskattönen begleitet ist) und der zurückhaltend angebrachte Holzeinsatz (25%, alte Fässer) verleihen dem Wein dazu eine schöne Cremigkeit.
Wenn momentan ein griechischer Weißwein (der nicht aus Assyrtiko gekeltert wird) das Zeug zum Kultwein hat, dann ist es sicher der Malagousia vom Ktima Gerovassiliou. Hintergrundgeschichte, anhaltend hohe Qualität, Wiedererkennbarkeit und die klare Ausrichtung kommen hier zusammen. Und der Jahrgang 2020 unterstreicht diese Ambitionen nochmals: zweifellos ein phänomenaler Wein, der 18,5 Punkte verdient.
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