Mein Bild von Kretas Wein: Ein Mosaik aus Flaschen
- Griechische Weine
- 4. März
- 20 Min. Lesezeit
Die Weinkultur Kretas reicht über 4000 Jahre zurück und erlebt aktuell eine spannende Renaissance. Im folgenden Artikel möchte ich schlaglichtartig einen Überblick über einige Entwicklungen geben, wie ich sie wahrnehme. Ich tue das, indem ich auf einige Weine verweise, die ich in letzter Zeit im Glas hatte und die, zusammengenommen, ein Bild davon ergeben, wie sich der kretische Wein für mich momentan darstellt.
Es ist, wohlgemerkt, kein systematischer Überblick – mehr ein Mosaik, aus den Flaschen, die mir in den letzten zwei Jahren am meisten in Erinnerung geblieben sind. Wer nahe heranzoomt sieht einzelne, unverbundene Etiketten, doch mit etwas Abstand und Wohlwollen – oder leicht zusammengekniffenen Augen – ergibt sich, so hoffe ich, doch ein ansprechendes Bild.
Wer eine zweite, individuelle Perspektive auf die dynamische Entwicklung des kretischen Weinbaus zum Vergleich wünscht, dem sei der kürzlich auf der Seite von Tim Atkin erschienene Beitrag von Peter Pharos ans Herz gelegt. Da gibt es manche Schnittmengen, aber auch ganz eigene Akzentsetzungen.
Weißweinrebsorten
Die Rebsorte Vidiano – Reinsortige Beispiele
Beginnen wir unsere Entdeckungsreise mit der wichtigsten weißen Rebsorte Kretas: Vidiano. Diese autochthone Sorte verkörpert perfekt den Charakter der Insel - sie verbindet mineralische Noten mit ausdrucksstarken Fruchtaromen und bringt dabei Weine von bemerkenswerter Struktur hervor.

Der Vorinos 2020 von Silva Daskalaki demonstriert eindrucksvoll das Potenzial der Rebsorte. Das kleine, biodynamisch arbeitende Weingut setzt auf Spontanvergärung. Der Wein hat aber eine ganz glasklare Struktur. Mit 12% Alkohol präsentiert er sich erstaunlich schlank und cremig zugleich, mit einer prägnanten Säure im Abgang. Ein exzellenter Wein, der die typische Kombination von Mineralität und expressiver Frucht perfekt zur Geltung bringt. 92 Punkte!
Von höher gelegenen und älteren Rebstöcken desselben Weinguts stammt der Enstikto 2018, der mit 13,5% Alkohol kräftiger ausfällt und mit 10% Chardonnay ergänzt wurde. Der Ausbau im neuen französischen Eichenholz prägt den Wein überraschend dezent - von Butteraromen keine Spur. Stattdessen dominieren Quitten und grüne Grasaromen. Allerdings: Die für Vidiano so charakteristische Mineralität tritt hier etwas in den Hintergrund. Ein Wein, der nach kräftigeren Speisen verlangt. 90 Punkte!

Einen spannenden Kontrast bietet der Mikri Evgeniki Vidiano 2021 vom Weingut Efrosini. Reife Aprikosenaromen treffen auf eine ausgewogene mineralische Struktur. Ein solider Vertreter der Sorte, der 89 Punkten verdient und in besseren Jahrgängen durchaus Potenzial für höhere Bewertungen hat.
Der Vidiano 2021 vom angesehenen Weingut Diamantakis faszinierte durch seine Fähigkeit, auch nach mehreren Tagen noch mit kräftigen Speisen mitzuhalten. Allerdings leidet der Wein unter einer übertriebenen Säure – was wir beim Verschnitt mit Assyrtiko (siehe unten), trotz der Reputation jener zweiten Rebsorte für ein solches Profil, interessanterweise nicht feststellen konnten. Ob diese Flasche möglicherweise ein Problem hatte, lässt sich schwer sagen. Ich hatte mehr erwartet. Auch in diesem Zustand kann man aber zumindest 87 Punkte geben – den Wein aber eben nicht als perfekte Einführung in die Rebsorte empfehlen.
Eine besondere Überraschung bietet der Takimi Vidiano 2017 vom Weingut Agelakis. Als einer der komplexesten Orange Wines Griechenlands überzeugt er mit einem facettenreichen Aromaspektrum von getrockneten Früchten bis Marzipan. Trotz seiner sechs Jahre, die er bei der Verkostung bereits auf dem Buckel hatte, zeigt er keine Ermüdungserscheinungen und erreichte beeindruckende 93 Punkte.
Vidiano außerhalb Kretas – Beispiele aus Nordgriechenland
Übrigens, so viel Blick über den Inselrand muss hier sein, auch außerhalb von Kreta gewinnt Vidiano an Bedeutung. Besonders komplex präsentiert sich der Vidiano 2021 von Oenops aus der Region Drama in Nordgriechenland (auch oben abgbildet). Mit seiner Vielfalt an Fruchtaromen und komplexer Vinifikation erreicht er verdiente 92 Punkte. Er beweist eindrucksvoll, dass Vidiano auch außerhalb Kretas exzellente Ergebnisse liefern kann.
Auch der Sole Vidiano des Weinguts Biblia Chora führt uns nach Nordgriechenland. Ganz so „sole“ ist er nicht, denn er hat einen kleinen Anteil Assyrtiko (8%). Ich hatte den Wein schon öfter, etwa den 2020er vor zwei Jahren. Da hat er mich besonders durch seine elegante Aromatik überzeugt. Am Gaumen entwickelt sich ein dynamisches Geschmackserlebnis, bei dem eine vibrierende Säure Noten von Pfirsich und Aprikose begleitet. Und der Spritzer Assyrtiko ist nicht zu unterschätzen. Die für Santorini typische Traube verleiht dem cremigen, steinobstbetonten Vidiano zusätzliche Frische und mineralische Tiefe. Pure Aprikosennoten verbinden sich mit Zitrusschalen-Aromen zu einem lebendigen, vielschichtigen Geschmackserlebnis. Der mit 13,5% bereits nicht zu vernachlässigende Alkoholgehalt ist perfekt eingebunden und unterstützt die verschiedenen Geschmacksphasen. Ein Wein, der in Erinnerung bleibt. 93 Punkte!
Dieselbe Bewertung verdient auch der 2023er, den ich letztes Jahr mehrfach hatte. Die konstante Qualität dieses Weins ist wirklich beeindruckend. Ob Vidiano viel besser werden kann, weiß ich nicht. Für mich ist es keine Rebsorte mit 100-Punkte-Potenzial. Aber: Zu gegrilltem Schweinebauch übertrifft sie für mich persönlich selbst renommierte Burgunder-Chardonnays.

Cuvées mit Vidiano
Kommen wir nun aber zu den Cuvées, in denen andere Rebsorten neben Vidiano wirklich eine eigenständige Rolle spielen. Auch hier möchte ich aber eine kleine Seitenbemerkung voranstellen: Außerhalb Kretas wird Vidiano mittlerweile immer häufiger gewinnbringend in Cuvées eingesetzt. Gerade die Kombination mit Assyrtiko scheint mir hier großes Potenzial zu haben, als logische Weiterführung des Gedankens hinter dem Sole-Wein. Während Assyrtiko traditionell oft mit Malagousia verschnitten wird, um florale und fruchtige Aromen mit der charakteristischen Säure zu verbinden, bietet Vidiano mit seiner besonderen Textur eine spannende Alternative – oder Ergänzung.
Der Apla 2021 von Oenops aus Drama zeigt, wie das gehen könnte, indem er Malagousia (50%), Assyrtiko (30%) und Vidiano (20%) vereint. Er ist, wie der Name sagt (und anders als das durchaus ernstzunehmende rote Pendant) ein einfacher, geradliniger Wein. Aromen von Äpfeln und Blumen dominieren. Dazu kommt dann aber eben noch die sehr solide Textur. Das ist immerhin 88 Punkte wert. Für etwas mehr als 10 € nicht gerade bestechend gut, aber sicher mal einen Versuch an einem heißen Sommertag wert.

Und in Kreta selbst? Da nimmt man statt Malagousia lieber andere Sorten mit floralem Bukett.
Der Vidiano Moscato 2021 von Titakis zeigt sich als zugängliche Cuvée, bei der der Muscat von Spinas (40%) die Nase dominiert. Der Vidiano-Anteil von 60% verleiht dem Wein jedoch eine solide Struktur. Die 87 Punkte, die ich hier angemessen finde, sind für einen Wein dieser Stilistik nicht wenig.

Etwas mehr überzeugt mich noch der internationalere Sophia Chardonnay-Vidiano 2019 vom Weingut Efrosini, wobei hier der Chardonnay mit 60% dominiert – und das schmeckt man. Nach sechs Monaten im französischen Eichenholz präsentiert sich der Wein buttrig am Gaumen, ein Genuss für Liebhaber vollmundiger Weißweine. Allerdings geht dabei etwas Komplexität verloren. Sehr gute 89 Punkte.
Aber warum überhaupt auf Aromasorten schielen oder fette Weine produzieren wollen? Weshalb nicht ganz das Potenzial der Kombination mit der Perle von Santorini auskosten? Der Diamantopetra Vidiano-Assyrtiko 2021 vom Weingut Diamantakis zeigt, wie es geht. Der Wein verbindet Assyrtiko und Vidiano zu gleichen Teilen bei 13,0% Alkohol. Anders als beim reinsortigen Vidiano des Weinguts überzeugt hier besonders die ausgewogene Säurestruktur. Die Nase zeigt sich elegant, der dezente Eichenholzausbau (3 Monate auf der Hefe) ist perfekt eingebunden. Ein großartiger Wein: 93 Punkte. Mehr davon!
Vidiano gibt es natürlich auch in Süßweinen, als Liastos, aus in den Sonnen getrockneten Trauben. (Wer auf den Begriff "Malvasia" in diesem Zusammenhang stößt, darf mit Recht verwirrt sein ... Karakasis erklärt die Hintergründe hier.) Sehr gut - das heißt 92 Punkte wert - fand ich etwa den Liastos 2017 von Lyrarakis. Vidiano schmeckt man hier freilich inmitten von Plyto, Assyrtiko, Thrapsathiri, Dafni, und Vilana nicht mehr heraus. Aber mit den gerademal 11,5% Alkohol ist dies eine recht erfrischende Option zum Dessert.

Weitere Weißwein-Cuvées ohne Vidiano
Es gibt freilich auch andere weiße Cuvées auf Kreta, die ganz ohne Vidiano auskommen. Da wird es dann schnell ziemlich blumig. Der Kleftis 2021 vom Weingut Efrosini beispielsweise kombiniert 60% Assyrtiko mit Malvasia als aromatischem Blendpartner. Der florale Charakter kommt gut zur Geltung, Assyrtiko steuert Mineralität bei, und der Abgang zeigt sich dynamisch mit deutlichen 13% Alkohol. Der etwas unruhige Abgang macht daraus allerdings keinen geschmeidigen, sondern eher einen aufgeregten Wein. Sehr gute 86 Punkte.

Etwas besser präsentiert sich der weiße Prinos 2021 von der Diamantakis Winery (PGI Kreta). Er bringt alles mit, was man von einer Cuvée aus Chardonnay mit einer Aromasorte – hier Malvasia di Candia Aromatica – erwartet. (Siehe bereits hier.) Angenehme blumige Nase mit exotischen Anklängen, schönes Spiel. 13% Alkohol, die den Wein tragen. Sehr ordentlicher Abgang. 89 Punkte für diesen idealen unkomplizierten Essensbegleiter!

Besonders vielversprechend und mehr Beachtung verdienend erscheint mir Vilana als Verschnittpartnerin. Diese weiße Rebsorte, die hauptsächlich auf Kreta angebaut wird, ist für ihre frische Säure und Zitrusaromen bekannt. Sie wird oft in Cuvées verwendet, um leichte, aromatische Weine mit floralen und mineralischen Noten zu erzeugen. Obwohl sie traditionell für einfache Weine genutzt wurde, zeigt sie in Kombination mit sorgfältiger Weinbereitung ihr Potenzial für qualitativ hochwertige Tropfen.
Freilich gibt es hier keine Garantie für Blockbuster. Der Codex 2019 vom Weingut Zacharioudakis (PGI Heraklion) etwa kombiniert Vilana mit Malvasia di Candia Aromatica. Er zeigte bereits vor zwei Jahren erste Alterungsanzeichen. Dazu hat er ziemlich starke Bitternoten, was zu bloß guten 83 Punkten führt.

Es geht aber eben auch deutlich besser: Ein Wein gleicher Zusammensetzung ist der Aromatica 2021 von der Domaine Menexes (PGI Kreta), der mit großartiger Textur und faszinierender Aromenentwicklung am Gaumen überzeugt. Exzellente 92 Punkte!

Weitere reinsortige Weißweine
Zum Abschluss unsereres Weißwein-Panoramas noch ein Blick auf reinsortige Weine außerhalb der Vidiano-Familie. Assyrtiko ist ein offensichtlicher Kandidat für Platz 2.
Einen ganz ordentlichen Einstieg bietet der Samonion 2021 von Ktima Toplou (PGI Lasithi). Der Wein überzeugt mit aromatischer Komplexität, kräftiger Struktur, Fruchtigkeit und dezenten Bananenanklängen, zusammen mit charmanten Riesling-artigen Tanninen. Sehr gute 89 Punkte.

In eine ähnliche, wenn auch weniger exotisch-überreife, Richtung geht ein Wein, den ich vor einer ganzen Weile im Glas hatte, 2021 im Urlaub auf Kreta: den weißen Melissokipos Assyrtiko 2019 von der Domaine Paterianakis. Ich erinnere mich aber noch daran, dass ich ihn ausgesprochen gut fand – und an viel Steinobst, Kräuter und, auch hier, am Gaumen kalkige Textur. Ob ich mir die Spur Wachs jetzt im Nachhinein wegen der Liebe des Weinguts zu den Bienen einbilde, weiß ich nicht mehr. Dass er 91 Punkte wert war, aber schon noch.

Man könnte nun allerdings anmerken, dass es auf dem griechischen Festland Assyrtikos dieser Stilistik zu Genüge gibt (siehe hier und hier) und man deswegen nicht auf Weine von Kreta zurückgreifen muss. Daher sei hier wenigstens noch eine Ausnahme erwähnt: Will man mehr Insel-Flair, dann wäre der Petali 2021 von Diamantakis Winery eine sehr gute Alternative zu Santorini. Er besticht durch Eleganz, erfrischende Salzigkeit und einen langen Abgang. Blind wird jeder an die Vulkaninsel denken. Exzellente 90 Punkte – für um die 10€ bekommt man die auf Santorini nie und nimmer!

Wer doch etwas mehr Kreta pur will, kann neben Vidiano noch zu Thrapsathiri greifen, eine Rebsorte, die man auch auf den Kykladen findet. Sie ist aber nicht, wie der Name implizieren könnte eine "tintenfischförmige Athirivariante." DNA-Untersuchungen rücken die Sorte eher in Richtung Vidiano. Es ist manchmal die Rede davon, Thrapsathiri sei der "griechische Sauvignon Blanc"- wohl weil man hier recht kräftige Weine mit exotischen Aromen serviert bekommt. Es geht aber auch ziemlich fein, wie der Gerto 2019 der Toplou Winery zeigt. Die Nase dieses Thrapsathiri zeigt eine beeindruckende Eleganz mit feinen Noten von Brioche und weißen Blüten. Am Gaumen entfaltet sich eine vibrierende Frische mit Aromen von grünem Apfel und einem Hauch von reifer Mango. Der Abgang ist salzig. Die Kombination von Eleganz und Spritzigkeit überzeugt - und das im sechsten Jahr nach der Ernte, ich habe gerade erst nochmal nachverkostet. 90 Punkte.

Und dann wäre da eben noch die bei den Cuvées bereits angesprochene Vilana - aus einheimischer Perspektive die Königin der Weißweinrebsorten, auch wenn international natürlich an Vidiano nichts vorbeikommt (mit welcher auch sie übrigens verwandt ist). Die Weine sind oxidationsanfällig, was vermutlich erklärt, weshalb man nicht so oft hochwertige Flaschen findet, die ausschließlich Wein dieser Reben enthalten. Vielleicht bin ich aber auch nur zu sehr Vidiano-Fan, um hier bisher den echten Blockbustern begegnet zu sein. Sehr empfehlenswert finde ich aber, was Menexes im Orange Vilana 2021 präsentiert. Das bisschen Lösungsmittel, das einem zuerst auffällt, ist schnell weggeschwenkt. Dann kann man die Nase in eine ganze Menge Quitte stecken. Der Geschmacksverlauf ist erstaunlich dynamisch. Viel kandidierte Früchte und sortentypische Zitrusfrüchte schälen sich heraus. Das zupackende Tannin kommt von 20 Tagen auf der Maische. Sechs Monate Reifung in Pitharia auf der Feinhefe runden das ganze aber schön ab, sodass der Wein nicht erschlagend ist - auch wenn er klar nach Essen ruft, etwa nach Ziegenfleisch. Die 14,5% sind nicht ohne. Aber man spürt sie erst, wenn der recht lange Nachhall dann mal abgeklungen ist. 91 Punkte.

Rotweinrebsorten
Internationale Rebsorten auf Kreta
Nach diesem schlaglichtartigen Überblick über kretische Weißweine wenden wir uns nun den Rotweinen zu. Obwohl Kreta vor allem für seine autochthonen Rebsorten bekannt ist, entstehen auf der Insel auch bemerkenswerte Weine aus internationalen Varietäten. Ein eindrucksvoller Beleg dafür ist der Economou 2012, eine Cuvée aus 60% Cabernet Sauvignon und 40% Merlot, die im direkten Vergleich vor gut einem Jahr mit einem gleichaltrigen und sehr ähnlich zusammengesetzten Pontet-Canet aus dem Bordeaux (freilich nur in anderen Jahrgängen ein 100-Punkte-Kandidat) mehr als nur mithalten kann. Der kretische Wein präsentierte sich in der Blindverkostung sofort präsent mit Aromen von getrockneten Früchten wie Pflaumen und Rosinen, also durchaus bereits angereift. (Bei einer noch früheren Gelegenheiten zeigte er sich zwar noch würziger mit mehr Kräuternoten, die gut zu den kräftigen Tanninen passten.) Dennoch ein großartiger Wein, besonders die Süße im Abgang überzeugt. Vor einem Jahr gaben wir ihm dann 93 Punkte, und waren nicht ganz sicher, ob er auf dem absteigenden Ast war oder sich nur auf einer kleinen Durststrecke befand. Ich hätte ihm damals daher nur eine kurze weitere Lagerungsdauer prognostiziert. Bei einer weiteren Flasche neulich erst war er aber wieder voll da! Man darf jetzt doch recht zuversichtlich 93+ schreiben.

Auch reinsortige internationale Rebsorten überzeugen auf Kreta. Besonders bei Merlot zeigt die Insel (wie Griechenland generell) in meinen Augen ihr Potenzial (siehe auch hier): Der Menexes Merlot 2019 vom gleichnamigen Weingut wurde 12 Monate in französischer Eiche ausgebaut, was sich bei diesem unfiltrierten Wein von der ersten Nase bis zum letzten Nachhall in intensiven Vanillenoten bemerkbar macht. Die Frucht tritt dabei etwas in den Hintergrund, während das leicht sandige Tannin für Struktur sorgt. Die 14,5% Alkohol und die Vanille vereinen sich zu einem sehr süßen Eindruck. Im Gesamtpaket ist dies sehr ansprechend und in sich stimmig, ohne dabei langweilig zu werden. Der Kühlschranktest über mehrere Tage spricht dafür, diesen schönen Wein jetzt oder im nächsten Jahr zu genießen. Sicherlich nicht der komplexeste Merlot Griechenlands, aber ein Wein mit sehr charakteristischem Profil, der für viele Anlässe perfekt passt. Hervorragende 92 Punkte, die mit ca. 15 € mehr als nur sehr angemessen bepreist sind.

Noch eine deutliche Schippe drauf legt der Materia Merlot 2019 von der Agelakis Winery. Nur sechs Monate Reifung in französischer Eiche (und dazu teilweiser Ausbau in Pitharia) führen hier zu einer ungemein anspruchsvollen Nase. Das Holz präsentiert sich als breites Gewürzspektrum, ohne dass einzelne Komponenten unangenehm herausstechen. Dazu kommt eine blutige Note, die neugierig auf den Gaumen macht. Dort fehlt angesichts dieser hohen Erwartungen im ersten Moment zwar etwas Frucht, aber mit der Zeit spielt sich die perfekt passende Säure bei angenehmen 13% Alkohol in den Vordergrund und trägt den Wein im Nachhall sehr, sehr lange. Mit etwas mehr Reife ist dem Wein sogar noch mehr zuzutrauen: 94+ Punkte! (Ja, das ist viel. Aber so hat er sich letztes Jahr gezeigt. Ich hoffe, ich kann ihn bald nachverkosten.)

Syrah werden wir unten in Cuvées noch einige Male begegnen. Reinsortig zeigt er sich in einem qualitativ recht großen Spektrum (siehe auch bereits hier). Der 2019er 101 Portes von der Toplou Winery (PGI Lasithi) war vor zwei Jahren in der Nase leicht stallig, aber noch sehr dezent und sicher im attraktiven Bereich. Hier hat man eine ordentliche Portion Gewürze im Glas, wie sich beim ersten Schluck gleich zeigt – sodass die sortentypische Blaubeere erst im Nachhall in Erscheinung tritt. Dass der Alkohol bei nur 13% liegt, überrascht. Ein vielleicht nicht perfekt ausbalancierter, aber dennoch aufgrund seiner Vielschichtigkeit sehr attraktiver Wein, der immerhin sehr gute 89 Punkte verdient.

Einer der Stars einer Syrah-Probe vor zwei Jahren war der Nostos 2017 von der Manousakis Winery (PGI Chania). Da hatte ich mir schon im Voraus gewisse Hoffnungen gemacht, meinte doch Yiannis Karakasis schon zum 2014er, er sei ein Kandidat für den besten Syrah des Landes! Und in der Tat überzeugte der 2017er in der Nase sofort mit einer wunderbar attraktiven Mischung an Gewürzen, wie sie in dieser Verkostung höchstens noch der Le Roy des Montagnes 2020 von der Papargyriou Winery (Peloponnes) zu bieten hatte. Nur dass der Wein am Gaumen sehr viel filigraner ankommt. Und endlich war auch mal eine appetitmachende Portion Speck dabei. (Der Avus 2016 von der Nadir Winery ist der einzige griechische Syrah, der das nochmal deutlich toppt!) Viel besser geht es in der Tat nicht. Phänomenale 96 Punkte. Aber Achtung: Der Wein knickte in den Folgetagen recht schnell ein. Ob der 2017er Jahrgang sich immer noch gut trinkt, weiß ich leider nicht … (Beim Lacules 2018, der nicht von Kreta ist und in der Verkostung leicht die Nase vorn hatte, würde ich dafür gleich beide Hände ins Feuer legen.)

Autochthone Rebsorten – Kotsifali, Mandilaria und Liatiko
Unter den autochthonen Rebsorten Kretas sind es vor allem drei, welche die Rotweinproduktion der Insel prägen: Kotsifali bringt Alkohol und Fülle in die Weine, während Mandilaria (auch Mantilari genannt) für dunkle Farbe und kräftige Tannine sorgt. Beide Sorten ergänzen sich traditionell in Verschnitten, denn reinsortig zeigen sie oft Schwächen - Kotsifali neigt zu Oxidation und blasser Farbe, Mandilaria kann sehr rustikal und hart erscheinen. Anders verhält es sich mit Liatiko, der dritten wichtigen roten Rebsorte der Insel. Sie kann auch reinsortig überzeugende Weine hervorbringen, die oft an Pinot Noir erinnern.
Ein Blick auf die reinsortigen Interpretationen bestätigt diese Klischees: Der Mandilaria 2019 vom Weingut Menexes zeigt einen robusten Tabakcharakter und kräftige Tannine. Der sechsmonatige Ausbau in französischer Eiche rundet das Gesamtbild ab – ein durchaus exzellenter Einstieg in diese Rebsorte, aber mit 90 Punkten zeigt sich auch das begrenzte Potential. Viel mehr hatte ich bei einem reinsortigen Mandilaria noch nicht.
Der Chromata Kiprotakis 2021, ein reinsortiger Kotsifali, besticht durch seine florale Natur mit Anklängen von dunkler Schokolade. Der spürbare Alkohol ist gut eingebunden und macht ihn zu einem sehr befriedigenden Trinkerlebnis. 88 Punkte. Das ist nicht schlecht, aber eben auch nicht wirklich umhauend.

Liatiko dagegen demonstriert eindrucksvoll seine Qualitäten als Solokünstler. Der Petali Liatiko 2019 von Diamantakis könnte in der Nase durchaus mit großen Pinot Noirs konkurrieren. Er beeindruckt durch seine Balance, einen runden Gaumen und die feinsten Tannine aller Flaschen bei einer Verkostung reinsortiger Liatikos letztes Jahr, dazu ein wirklich langer Nachhall. Das verdient hervorragende 92 Punkte.
Der Mikri Evgeniki Liatiko 2018 von Efrosini (ein PDO Dafnes) täuscht mit seiner reifen, orangestichigen Farbe. Man könnte einen süßen Wein erwarten, wie er so schwerfällig im Glas liegt. Seine Aromen von Pflaumen und Rosinen, kombiniert mit 15,5% Alkohol, erinnern dann an einen dezenten Amarone. Die weichen Tannine machen ihn auch bei höheren Temperaturen angenehm trinkbar. Ein interessanter Wein. 89 Punkte.
Vom Weingut Toplou kommen gleich drei spannende Liatiko-Interpretationen: Der Linos Liatiko 2021 (ein PGI Lasithi) erinnert mit seiner hellen Farbe an einen Pinot Noir. Die Nase zeigt eine elegante Mischung aus dezenten Kirsch- und Blütenaromen. Anfänglich noch etwas CO₂-präsent, entwickelt er sich besonders am zweiten Tag. 89 Punkte.
Als Rosé (ja, das tanzt hier aus der Reihe, aber für eine eigene Kategorie reicht es nicht … die letzten zwei Jahre hatte ich sonst kaum Roséweine aus Kreta im Glas) präsentiert sich der Amaranton 2021 (ebenfalls PGI Lasithi), der die geschmeidigen Tannine der Rebsorte exemplarisch zeigt. Die 14% Alkohol sind gekonnt in ein Geflecht aus roten Beeren und Blütenaromen eingewoben. 90 Punkte.

Eine besondere Spezialität ist der süße Filotheos Liatiko mit seiner charakteristischen bräunlichen Farbe und Mokka-Nase. Am Gaumen vereinen sich Toffee und Karamell, gestützt von guter Säure. Gekühlt serviert ist er besonders zu Banoffee ein Genuss. 92 Punkte.

Klassische Verschnitte: Kotsifali und Mandilaria
Die klassische Verbindung von Kotsifali und Mandilaria folgt einer ähnlichen Logik wie die berühmten Bordeaux-Verschnitte: So wie Merlot dem Cabernet Sauvignon einen weicheren Charakter verleiht, soll Kotsifali die manchmal überaus präsenten Tannine der Mandilaria ausgleichen. Mandilaria wiederum bringt zwar reichlich Tannin mit, es mangelt ihr aber oft an Alkohol und intensiver Aromatik.
Die Kombination funktioniert nicht nur in der Theorie. Bei der Verkostung der beiden reinsortigen Weine, die ich oben nannte, haben wir fleißig die beiden Weine im Glas selbst "verschnitten" und tatsächlich: Die Kombination überzeugte mehr als die einzelnen Weine.
Zur Lagerfähigkeit der Verbindung kann ich wenig sagen. Allerdings hatte ich schon zwei echte Massenprodukte, die über 20 Jahre alt waren, im Glas. Und sie waren zumindest noch ok. Der 2003er Wein vom Michalakis erreichte mit 75 Punkten zumindest noch eine trinkbare Qualität und zeigte durchaus noch die typischen Merkmale der kretischen Rebsorten. Die Version von Boutari überzeugte sogar mit ihrer lebendigen Säure und den noch präsenten Tanninen – erstaunliche 84 Punkte für einen zwanzig Jahre alten Wein dieser, untersten, Preisklasse.

Allerdings muss ich persönlich gestehen, dass mir seit langem ein wirklicher Spitzenwein aus diesen beiden Rebsorten fehlt. Gerne nehme ich Empfehlungen entgegen …
Cuvées mit internationalen Verschnittpartnern
Umso auffälliger finde ich, dass ich vor zwei Jahren einem wirklich guten kretischen Wein begegnete, der Mandilaria mit einer weiteren, internationalen, "maskulinen" Rebsorte kombinierte – Cabernet Sauvignon. Der Sera 2015 von Silva Daskalaki, eine 50:50-Cuvée der beiden Rebsorten, offenbart in der Nase dunkle Früchte und reife Pflaumen mit einem Hauch von Teer. Trotz der tiefdunklen Farbe erinnert er durchaus an einen Nebbiolo. Am Gaumen beeindruckt vor allem die unglaubliche Dichte. Die anhaftenden Tannine unterstützen den ganzen Mund auskleidenden Eindruck. Nach einem kurzen Durchhänger direkt im Anschluss an den konzentrierten Antrunk – den die Flasche mit Luft aber überwindet – entwickelt sich ein eigenständiger, an nasse Hanfschnur erinnernder Abgang, der den Wein zu einem lang anhaltenden Geschmackserlebnis macht. Großartige 92 Punkte für diesen charaktervollen Wein. Ich wäre sehr gespannt, ihn jetzt mal wieder nachzuverkosten!

Weniger überzeugend finde ich meist die Kombination von Mandilaria mit Syrah. Der Diamantopetra Syrah-Mandilaria 2018 vom Weingut Diamantakis hat mich persönlich etwa enttäuscht: Rauchige Syrah-Noten dominieren die Nase, während am Gaumen eine kräftige Säure und markante Tannine die Frucht überdecken. Mit nur 12,5% Alkohol fehlt ihm zudem etwas Fülle. Ein etwas unausgewogener Wein, dem ich geradeso 88 Punkte geben würde. Konstantinos Lazarakis MW schreibt in The Wines of Greece (S. 370): „Diamantopetra is the most prestigious line … Although most Cretan producers blend Syrah with the softer Kotsifali, in Diamantopetra Red Diamantakis blends it with Mandilaria, and comes out a winner …” Das kann ich persönlich gar nicht nachvollziehen. Allerdings wurde der 2020er Jahrgang kürzlich von Peter Pharos mit 92+ Punkten bewertet – und das, nachdem er für den 2017er auch noch recht moderate 89+ gegeben hatte. Vielleicht ist also eine echte Aufwärtsentwicklung im Gang. Ich werde die Augen offenhalten …

Persönlich denke ich (mit der gerade angesprochenen Mehrheit der Weinbauer:innen auf Kreta), Syrah harmoniert deutlich besser mit Kotsifali (wenn man denn überhaupt Syrah mit kretischen Rebsorten kombinieren will). Der Philoxenia Syrah-Kotsifali 2017 vom Weingut Efrosini bringt klassische Noten von getrockneten Erdbeeren und Rosenblättern. Die Tannine sind hier deutlich runder als in der Kombination mit Mandilaria, der lange Abgang fügt allerdings wenig Neues hinzu. Mit 14,5% Alkohol ein solides Beispiel dieser Cuvée. 89 Punkte.

Noch überzeugender zeigt sich die Kombination beim Enstikto 2015 von Silva Daskalaki, der zu 70% aus Kotsifali und 30% aus Syrah besteht und ein Jahr in neuen französischen Eichenfässern reift. Bei der letzten Verkostung 2022 präsentierte er sich in Topform. Eine echte Tannin-Bombe, die vermutlich jeden Tag ihrer Reifung gebraucht hat. Die Tannine sind zwar noch immer nicht fein und werden es wohl auch nie werden, aber sie drängen sich nicht unangenehm in den Vordergrund - sie warten einfach auf die passende deftige Speisebegleitung. Seine hervorragenden 94 Punkte verdankt der Wein vor allem einer Eigenschaft: seiner erstaunlich frischen Frucht. Kirsche, vor allem Kornelkirsche, ist vom Antrunk an präsent und bleibt in einem für diese Preisklasse bemerkenswert langen Abgang erhalten. Ein Wein, den ich unbedingt mal wieder nachverkosten möchte!

Das Ganze funktioniert auch als Roséwein ausgesprochen gut. Das zeigt der rosé Melissinos 2022 von der Domaine Paterianakis. Die volle Farbe zeugt von der Saignée-Methode. Eine große Menge Beeren begegnen in der Nase. Auch etwas Tomate ist wahrnehmbar. Ich dachte kurz an einen Xinomavro. Am Gaumen ist der Wein dann eine Wucht, er hat einfach enorm viel Grip – und das trotz Kotsifali! Die Säure ist eher niedrig, die augenscheinliche Fruchtsüße ziemlich hochgedreht. Aber überhaupt nicht dropsig! Eine echte Entdeckung, die ich erst letztes Jahr gemacht habe – dabei ist es das älteste Etikett des Weinguts. 93 Punkte.

Also: Dass Mandilaria einen „femininen“ Verschnittpartner braucht, ist in meinen Augen ein ziemlicher Mythos. Und bei Kotsifali ist es in meinen Augen ganz analog: auch hier brilliert die kretische Rebsorte vor allem in Kombination mit der gleichsam weichen Option aus der Bordeaux-Region. Das zeigt eindrucksvoll der Takimi Kotsifali-Merlot 2019 vom Weingut Agelakis (das, wie oben erwähnt, auch einen exzellenten reinsortigen Merlot im Programm hat). Hier wird 70% Kotsifali mit 30% Merlot kombiniert. Ein Hauch von Stallduft in der Nase öffnet sich zu einem ausgewogenen Gaumen mit weichen, abgerundeten Kanten. Die 14% Alkohol sind nahtlos eingebunden und verleihen genau die richtige Wärme, ohne die Frucht zu überdecken. 92 Punkte – eben der Beweis, dass man mit Kotsifali und Merlot zusammen hervorragenden Wein machen kann. (Umso enttäuschter bin ich tatsächlich, dass der rote Takimi ab 2021 ein reinsortiger Kotsifali ist ... den ich allerdings noch nicht probiert habe.)

Was passiert, wenn man sowohl Syrah als auch Merlot (je 20%) zu Kotsifali hinzugibt? Ganz Unterschiedliches: Der Impetus Kotsifali-Merlot-Syrah 2019 vom Weingut Titakis ist für mich einer der enttäuschendsten Rotweine Kretas, die ich in den letzten Jahren im Glas hatte. Die frische, an Kirschmarmelade erinnernde Nase macht zwar Hoffnung, aber am Gaumen dominieren säuerliche, unreife Noten. Die 13% Alkohol können die Aromen nicht zusammenbinden. 83 Punkte. (Paul Gegas gibt dem 2018er immerhin 87 Punkte – davon war dieser 2019er definitiv ein ganzes Stück entfernt.)

Wie es besser geht, zeigt der Blend Merlot-Syrah-Kotsifali 2019 vom Weingut Menexes – ein Weingut, das ja schon mit seinem reinsortigen Merlot (siehe oben) bewiesen hat, dass es diese Rebsorte auf Kreta beherrscht. Dunkle Beerenaromen dominieren, der Gaumen präsentiert sich rund und weich. Die 14% Alkohol sind perfekt eingebunden. Etwas mehr Struktur hätte den Wein noch beeindruckender gemacht, aber er trinkt sich jetzt perfekt und braucht keine weitere Reife. 93 Punkte.

Liatiko – veredelt in Cuvées
Kommen wir nun zurück zu dem, was ich für den wahren König Kretas halte: Liatiko, eine der wenigen Rebsorten Griechenlands, die meiner Meinung nach wirklich 100-Punkte-Potential haben. (Vidiano, mein Favorit auf der Seite der Weißweinrebsorten, hat das wie gesagt wohl eher nicht – auch wenn ich die Weine wirklich sehr, sehr gern trinke!)
Wir beginnen mit einer Ausnahme, weil sie nämlich ein Roséwein ist – und weil es die bisher einzige Flasche ist, die ich vom Boden her verkostet habe. Sie ist mir nämlich beim Abstellen explodiert … Der Petinari 2021 von der Efrosini Winery ist ein Cuvée aus Liatiko und Kotsifali. Sie kommt in der Nase sehr frisch, mit viel grünem Apfel, an. Am Gaumen hat sie aber ordentlich Schmelz und lässt im beachtlichen Abgang viele rote Früchte durchscheinen. Ein gelungener Roséwein, der ordentlich Zug mit sich bringt und auf einer Garten-Party (hoffentlich mit weniger Schnee als auf dem Bild unten) viel Spaß machen kann. Durchaus sehr gute 89 Punkte.

Bei den Rotweinen, werfen wir zunächst ein Blick auf eine eher internationale Cuvée, in der Liatiko eine unterstützende Rolle spielt: Der Cornelia Merlot-Syrah-Liatiko 2018 vom Weingut Agelakis verbindet die beiden internationalen Rebsorten mit der kretischen. Leichte oxidative Noten verbinden sich mit rauchigen und pflaumenartigen Aromen. Die 13,5% Alkohol verleihen Tiefe ohne Schwere. Ein einzigartiger und ausgewogener Wein: 92 Punkte. Mehr solcher Verschnitte würde ich gerne sehen.

Kleine Seitenbemerkung: Recht beliebt sind auch Cuvées, in denen Kotsifali die Stelle von Merlot übernimmt. Etwa der Enotria von Douloufakis ist in der Hinsicht ein respektabler Einstiegswein, für den ich gerade aber keine niedergeschriebene Bewertung mehr parat habe.

Aber nun zum eigentlichen Star: Liatiko mit einem Anteil Mandilaria. In zwei außergewöhnlichen Weinen von Domaine Economou zeigt sich das volle Potential dieser Kombination. Der Mirabello 2015, eine 60:40-Cuvée aus Liatiko und Mandilaria, präsentiert sich lebendig und energiegeladen. Helles Rubinrot mit Granatreflexen. In der Nase reife Pflaumen, rote Kirschen, Karamell, Leder und Anklänge von Zeder und Thymian. Am Gaumen beeindrucken einzigartige Tannine – man landet geradezu auf ihnen, wie der weiche Aufprall eines Schlauchboots auf einer Wasseroberfläche. Rauchige Untertöne und frische Säure balancieren die saftige Frucht, die in einem langen, eleganten Finale mündet. 96 Punkte – ein großartiges Preis-Leistungs-Verhältnis bei um die 50€! Andere bewerten diesen Wein zurückhaltender, doch mir scheint das durchaus angebracht angesichts dessen, wie er sich neulich im direkten Vergleich mit seinem "älteren Bruder" zeigte, zu dem wir jetzt kommen …
Der Antigone 2004 (PDO Sitia) besteht zu 80% aus Liatiko und 20% aus Mandilaria (Voidomati). Eine wahre Legende, unglaublich raffiniert. Im Glas helles Granat mit bernsteinfarbenen Reflexen. Komplexe Aromen von getrockneten Kirschen, Feigen, mediterranen Kräutern, Leder und einem Hauch Vanille. Wirkt jünger als der Mirabello 2015. Am Gaumen eine Offenbarung: Von der ersten Millisekunde an vereinen sich Aromen, Säure, Süße und unglaublich polierte Tannine in perfekter Harmonie. Kraftvoll, elegant und unvergesslich. Ich hatte ihm Anfang letzten Jahres zunächst 97 Punkte gegeben. Jetzt am Silvesterabend nochmal getrunken, muss ich das aber auf 98 Punkte aufstocken. Einer der besten griechischen Rotweine – und diesmal gibt es hier einen sehr breiten Konsens unter griechischen und nicht-griechischen Weinkritiker:innen: Paul Gegas vergibt 97 Punkte, ebenso Yannis Athanasakopoulos. Wine & Spirits vergibt 96 Punkte, Int'l Wine Review 96-97 Punkte – und die beiden Master of Wine Susie Barrie und Peter Richards sind absolut begeistert, erklären ihn gar zu ihrem Wein des Jahres. (18/20 Punkte von Jancis Robinson sind auch nicht ohne, aber im Vergleich doch erstaunlich zurückhaltend.) 120€ sind kein Pappenstiel, in diesem Fall aber absolut angebracht. Jetzt trinken oder noch ein Jahrzehnt lagern.

Mit Spannung erwarte ich angesichts der Qualität des letztgenannten Weins nun den Antigone 1999, der dieses Jahr auf den Markt kommen soll. Man darf den Gedanken durchaus mal aussprechen, den viele haben dürften: Wird es ein 100-Punkte-Wein?
Zum bewusst anti-klimaktischen Abschluss der Wein, der diesem mit Sehnsucht erwarteten Jahrgang am nächsten kommt: Der Sitia 2000 von Domaine Economou, ebenfalls eine klassische 80:20-Cuvée aus Liatiko und Mandilaria. Ich hatte ihn leider nur aus einer Flasche, die ich online in Griechenland erwarb. Die Lagerung war, das zeigte der Korken, wohl nicht erstklassig. Trotzdem zeigt der Wein eine ansprechende Reife mit komplexen Aromen von wilden Kräutern, Karamell und erdigem Thymian, dazu eine überraschend frische Säure. Das leicht verblassende Finale könnte den 12% Alkohol oder aber der suboptimaler Lagerung geschuldet sein. Das Weingut hat bei mir einen Vertrauensvorschuss und so nehme ich an, dass der letzte Faktor durchaus eine Rolle spielte – aus guten Flaschen sollten es daher wohl doch um die 94 Punkte sein. (Auf wein.plus gibt’s dafür 85 Punkte … das ist wahrlich lächerlich und kann man nicht ernst nehmen.) Falls ich jemals eine gutgelagerte Flasche in die Hände bekomme, werde ich natürlich berichten.

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